aus dem Tagesspiegel vom 30.04.2003
Radio furioso

Der Sender Freies Berlin ist morgen Geschichte. Fans gab es hüben wie drüben. Ein Hörer aus dem Westen und einer aus dem Osten erinnern sich an ihre Sternstunden des Hörfunks.

Der Hörer (West)

Ja, wir von der s-f-beat-Generation sind in die Jahre gekommen. Die Rente rückt näher, mancher von uns mag längst tot sein, tot wie unsere Lieblingsmoderatoren Juliane Bartel und Ulli Herzog. Und es ist heute ein wenig schwer zu erklären, weshalb diese Sendung damals so einschlug, wo doch das Radio voll ist von ähnlichen Formaten. Aber irgendwer musste ja anfangen damit, Radio für Beatles- und Stones-Fans jenseits der naiven Hitparadendudelei zu machen – und das war nun mal der SFB. Nichts gegen den Rias, aber den fanden wir im Westen damals viel zu propagandistisch; das Pathos der Freiheitsglocke zwei Mal täglich war, Verzeihung, ein flagranter Anschlag auf unser Lebensgefühl. Die dringende politische Öffnung fand ebenso wie die musikalische und stilistische zuerst in der Masurenallee statt. Lassen Sie sich nichts von dem „Rotfunk“ erzählen und von der angeblichen Abneigung West-Berlins gegen den SFB. Da drängt sich viel mürbe Zweckpropaganda aus der Landowsky-Ecke danach, die historisch gesicherte Wahrheit sein zu dürfen. Gab es jemals größere Radioereignisse in Berlin als die SFB-Sondersendung zugunsten der italienischen Erdbebenopfer?

Es war ja eben nicht nur so, dass der Sender uns täglich von sechs bis sieben Uhr abends mit unserer Musik, unseren Sprüchen und Themen versorgte, wie man einem Verdurstenden Wasser gibt. Es entstand, wenn mich die Erinnerung nicht trügt, das Gesamtkunstwerk SFB 2 als geistig-moralische Grundversorgung, von der sonnabendlichen Expertenrunde mit ihren flotten Sprüchen gegen Miethaie und Kunden-Nepp über die kompetente Lokalberichterstattung („Berolina“) bis hin zu außergewöhnlichen nächtlichen Musiksendungen. Wer heute definieren will, was „cool“ war, bevor es diesen Begriff überhaupt gab, sollte sich an die Sendungen von Hans-Rainer Lange erinnern, der uns einfach seine Musik vorführte, sie erläuterte, mit uns praktisch im Zimmer saß (und dabei aus dem Fundus der fabelhaften Jazz-Solisten der hauseigenen Big-Band schöpfen konnte). Ja, vermutlich waren es wirklich die Stimmen von damals, die uns diesen Sender nahe gebracht haben, es war das Gefühl, da im Funkhaus Leute zu haben, die wussten, was Sache war. Kann sich noch jemand daran erinnern, dass es eine besondere Leistung war, Musik unverquatscht „auszuspielen“? Damit wir Hörer sie komplett aufs Band bekamen? Danke, nachträglich.

Vermutlich gibt es viele dieser Dinge immer noch – man findet sie bloß nicht mehr. Erst der Blick in die Vergangenheit lässt ermessen, was da alles in der Wellenschwemme und Quotensucht der Gegenwart verloren gegangen ist. Die kompetenten Lokalreporter und die frechen Experten arbeiten weiterhin – aber ihre Arbeit ersäuft auf 88,8 in einer Musiksuppe, die wie eine schroffe Kriegserklärung klingt an uns, die s-f-beat-Generation. Radio Eins ist eine der wenigen deutschen Wellen mit einem intelligenten, leidlich anspruchsvollen Musikprogramm – doch dafür werden dort die Texte penetrant flach gehalten, konzentriert auf Telefonspielchen und die nervtötende Nabelschau befremdlicher Moderatoren-Duos. Die beiden Klassik-Wellen setzen zwangsläufig eine große Liebe zur klassischen Musik voraus, die uns s-f-beat-Anhängern fern liegt, „Fritz“ gemahnt zu peinvoll ans Älterwerden, und Multikulti – nun ja. Ironische Wendung dabei: Die spezifische Qualität, für die wir den SFB geliebt haben, die finden wir heute zumindest tagsüber am ehesten beim Deutschlandradio Berlin, dem Rias-Nachfolger.

Ist das Absicht? Nehmen wir es als Zeichen der Hoffnung, dass Radio Eins, das beste Stück des neuen Senders, bereits ein gemeinsames Produkt von SFB und ORB ist. Ein gewaltiges Potenzial steckt in den Funkhäusern, mit dem allerhand zu machen ist. Vielleicht auch mal wieder kompromisslose Qualität? Am besten genau das, was die Macher selbst gern hören würden. Wie damals s-f-beat. (Von Bernd Matthies)
Der Hörer (Ost)
Von Björn Seeling

Der SFB ist daran schuld, dass ein braver Siebtklässler Anfang der 80er Jahre zum Schulschwänzer wurde. Er wollte Montagnachmittag lieber den „Hits für Fans“ im Radio lauschen als der Lehrerin im Englischunterricht zuhören, wie nah die Kommunistische Partei der USA kurz dem Sieg ist.

Wie es sich für ein Kind des Sozialismus gehörte, blieb es natürlich nicht allein dem Unterricht fern. Nein, die Schüler der 7a der Pankower Johannes-R.-Becher-Oberschule schwänzten gemeinsam, um bei „Hits für Fans“ die neuesten Titel von Depeche Mode, Kajagoogoo und Thompson Twins mitzuschneiden. Aktuelle Westmusik gab’s im Osten nicht zu kaufen, und das ungeliebte DDR-Radio brachte kaum Titel von drüben (und wenn, dann liefen sie eh unter Ausschluss der Öffentlichkeit). Zudem spielte Moderator Andreas Dorfmann die Titel aus – ohne das übliche Drauf- und Dreingequatsche. Da lohnte sich das Schwänzen. Das Ende vom Lied: Die Schule kapitulierte vor den Kapitalisten. Der Stundenplan der 7a wurde geändert, der Montagnachmittag war künftig frei.

Doch nicht nur Andreas Dorfmann hatte ein Herz für Musikfans. Donnerstags um 20 Uhr wanderten die Finger der Hörer über die Tasten der Recorder zwischen Pankow und Köpenick, wenn  Jürgen Jürgens mit seiner Sendung „Hey Music“ startete. Zwei Stunden Hits nach Hörervotum, ausgespielt bis zur letzten Achtelnote – Jürgen Jürgens ersetzte eine ganze Musikindustrie. Er brachte auch mal eine ausgefallene Langversion (die Kassette mit einem viertelstündigen „Relax“, dem ersten Hit von Frankie goes to Hollywood, liegt bis heute im heimischen Memorabilia-Fach). „Hey Music“ ist es zu verdanken, dass in den Ost–Berliner Discotheken keiner zu den DDR-Bands wie Puhdys und Karat tanzen musste. Bei „Hey Music“ versorgten sich die Discjockeys – oder besser Tapejockeys – mit frischer Westware. Es war wohl die einzige, die es gratis im Osten gab. Ansonsten hatten man als junger Ost-Berliner zunemend Probleme, dem SFB zu folgen. Es gab zwar den s-f-beat, eine der ersten Jugendsendungen im Westradio, aber nicht nur Beat war in den 80ern schon lange out. Auch das einstmals revolutionäre Konzept der Sendung. Zudem ließ die Konkurrenz vom Rias gleich eine ganze Jugendwelle rollen: Rias2. Hier spielte die bessere Musik, hier riskierten die Moderatoren die kessere Lippe. Wie Uwe Schneider hatten sie beim SFB ihr Handwerk gelernt.

Zuhause entbrannte derweil der Kampf am Radioknopf. Die Eltern hielten dem SFB die Treue, schwörten auf „Ü 1 im Ohr“ (die Live-Reportage aus dem Übertragungswagen) und „Ö 3-Wecker“ (die samstägliche Ösi-Dröhnung mit „Dalli-Dalli“-Jurorin Brigitte Xantner aus Wien). Und schon gar nicht waren sie vom Radio fortzukriegen, wenn Juliane Bartel am Mikro saß. Die Frau war damals – so würde man heute sagen – Kult. Einig waren sich Jung und Alt nur, wenn das SFB-Frauenmagazin begann. Dann hieß es: „Schalt Dein Radio an – Jugendwelle Rias 2 auf Neun-Vier-Drei!"
Inhalt